Historische Kurzgeschichten
Historische Kurzgeschichten:
150 Jahre Zementproduktion in Lägerdorf
Ein halbes Dutzend Zementhersteller
2012 feierten wir 150 Jahre Zementproduktion in Lägerdorf. Diese Geschichte ist besonders facettenreich, denn über die Jahrzehnte – und insbesondere in den Gründerjahren – waren gut ein halbes Dutzend unterschiedlicher Firmen mit der Portlandzementproduktion in und um Lägerdorf beschäftigt:
- Edward Fewer & Co. (1862–1889, von Alsen übernommen)
- Alsen’sche Portland-Cement-Fabriken (1862–1972, später Alsen-Breitenburg)
- Thiele & Gripp (1876–1888, nach Konkurs als Lägerdorfer-Portland-Cementfabrik weitergeführt)
- Breitenburger Portland-Cement-Fabrik AG (1884–1972, später Alsen-Breitenburg)
- Lägerdorfer Portland-Cement-Fabrik (1888–1905, später nach Konkurs von Holsteinische Portland-Cementfabrik übernommen)
- Holsteinische Portland-Cementfabrik (1905–1972, Anteile wurden mehrheitlich von der Breitenburger gehalten)
- Alsen-Breitenburg Zement- und Kalkwerke GmbH (1972–1997)
- Alsen AG (1997–2003)
- Holcim (Deutschland) AG (2003-Dezember 2015, seitdem Holcim (Deutschland) GmbH)
Holcim als generationenübergreifender Arbeitgeber: Zement verbindet!
Schon die Großväter, Väter und weitere Verwandte einiger heutiger Lägerdorfer Holcim-Mitarbeiter waren bzw. sind in der Zementindustrie beschäftigt. Es gab jedoch nicht nur ein Unternehmen oder ein Werk, das sich über die Jahrzehnte entwickelte. Über die Zeit waren mindestens sieben Firmen mit der Kreidegewinnung und Zementproduktion in und um Lägerdorf beschäftigt. Im Folgenden berichten die Familien May und Schändel, bei denen sich schon seit Generationen alles um den Zement dreht.
„Holcim begleite ich jetzt auch schon aktiv seit 22 Jahren“, erzählt Michael May. Der 39-jährige arbeitet mittlerweile als stellvertretender Leiter in der Kreditorenbuchhaltung in der Hamburger Hauptverwaltung und gehört in seiner Familie bereits zur dritten Generation, die eng mit dem Zementwerk Lägerdorf verbunden ist. Den Anfang machte Großvater Karl-Heinz May, der von 1940 bis 1984 im Zementwerk Lägerdorf arbeitete. Auch der Vater, Günther May, arbeitete von 1965 bis 2012 (Ende der ATZ) im Werk Lägerdorf. Er war als Schichtmeister im Bereich Produktion tätig und wechselte in seinen letzten aktiven Jahren in den Bereich Arbeitsschutz. Auch der Großvater mütterlicherseits, Henning Pingel, arbeitete in der Zeit von 1951 bis 1986 in der Zementproduktion am Standort Itzehoe.
„Positiv zu bewerten ist die enge Bindung an die Region und ein damit verbundener großer Familienzusammenhalt“, erklärt Michael May. „Im Laufe der Zeit hat sich im Zementwerk natürlich vieles verändert. Heute arbeiten dort – bedingt durch technische Neuentwicklungen und Optimierungen der Prozessabläufe – wesentlich weniger Mitarbeiter. Besonderes Augenmerk wird heute auf den Umweltschutz und den Bereich Arbeitssicherheit gelegt.“
Aber hat ihn auch die Familientradition dazu bewogen, ebenfalls bei Holcim zu arbeiten? „Ich kenne die Firma aus Erzählungen meiner Großväter und meines Vaters von Kind auf an, und sicherlich hat mich das nach meinem Schulabschluss bei der Wahl des Ausbildungsplatzes in Richtung Baustoffindustrie beeinflusst“, erklärt Michael May. „Allerdings habe ich dann doch die kaufmännische Richtung eingeschlagen.“
Auch die Familie Schändel aus Lägerdorf und Itzehoe ist bereits in der dritten Generation im Werk Lägerdorf vertreten. Den Anfang machten die Brüder Uwe, Willi und Hans-Herbert Schändel, die 1953 bzw. 1960 und 1957 in die Firma eintraten. Ihnen folgten die Söhne Hans-Holger, Heiko, Ralf, Peter, Thorsten und Thomas Schändel sowie der Schwiegersohn Dieter Reuter. Seit 2001 arbeitet auch Enkel Martin Schändel im Lägerdorfer Werk. „Nachteile gab es dadurch keine“, erzählt Thomas Schändel, der 1985 im Werk Lägerdorf als Auszubildender begann und seit 1999 Leiter der Automatisierung ist. „In den ersten Jahren unterlag ich als Sohn natürlich in gewisser Weise der „Kontrolle“ meines Vaters, in Form von Nachfragen beim Vorgesetzten. Aber nach Feierabend wurde dann oft im Familienkreis noch über die Arbeit und die Geschehnisse im Werk diskutiert. Jeder von uns hat oder hatte seinen speziellen Bereich und sein spezielles Wissen und so konnten wir uns gegenseitig informieren und oftmals auch helfen. Das sehe ich als großen Vorteil.“
Die Entwicklungen und Veränderungen im Werk werden durch die Beteiligung mehrerer Generationen natürlich umso deutlicher wahrgenommen: „Bedingt durch den technischen Fortschritt ist aus der Vielzahl an unterschiedlichen Produktionsteilen und -linien heute eine schlanke, übersichtliche Produktionsanlage entstanden“, erklärt Thomas Schändel. „Damit einher ging die ständige Verbesserung der Sauberkeit im und um das Werk herum. Ich erinnere mit noch sehr gut daran, wie früher vor dem Werk die Bäume noch im Frühling grün austrieben, bis sich der erste Zementstaub auf den Blättern absetzte und diese dann für den Rest des Jahres ergrauten. Moderne Filteranlagen verhindern heute diese Staubemissionen. Parallel zur technischen Entwicklung wurde die Zahl der Beschäftigten geringer, was auch der zunehmenden Automatisierung geschuldet war. Im Gegensatz zu früher sind heute nahezu alle Anlagenbereiche vollautomatisiert. ‚Kollege Computer‘ hat wohl in den vergangenen 15 Jahren den größten Einfluss genommen. Heute geht nichts mehr ohne Email, Word, Power Point und Excel.“
Hat denn die Familientradition Einfluss auf seine Berufswahl gehabt? „Mein Vater hat mir seinerzeit ein Buch zur kaufmännischen Ausbildung als Orientierungshilfe gegeben. Aber auf Grund meiner eher technischen Neigung habe ich mich dann für eine elektrotechnische Ausbildung entschlossen. Die technische Vielfalt des Lägerdorfer Werkes legte es natürlich nahe, die Ausbildung dort zu absolvieren!“
Die Zementlöwen von Lägerdorf
Einige der älteren Mitarbeiter und Nachbarn können in Lägerdorf mit dem Begriff „Zementlöwe“ noch etwas anfangen. Er hat sogar eine doppelte Bedeutung: Einige mögen bei „Zementlöwe“ zunächst an besonders kräftige Arbeiter denken, die in den vergangenen Jahrzehnten schwere körperliche Arbeit verrichten mussten. So gab es zu Zeiten der 50 kg-Zementsäcke in der Packerei noch mehrere „Zementlöwen“.
Auch der Kreideabbau selbst erfolgte im 19. Jahrhundert zunächst mit einfachsten Mitteln und war mit schwerer körperlicher Arbeit verbunden. Die Kreide wurde von Arbeitern in Etagen abgebaut und zunächst mit Stangen, Pickhacken und Spaten aus der Wand gebrochen, mit Schaufeln hinaufgeworfen und mit Schubkarren abtransportiert. Die ersten vier von Fewer im Jahr 1862 angestellten Lägerdorfer Arbeiter waren: Hatje, Gaetje, Panje und Schmetje. Man nannte Sie bereits damals kurioserweise die vier „Zementlöwen“.
Und es gab Zementlöwen als Figuren. Bei der Herstellung von Zementproben zur Untersuchung der Güte und Festigkeit wurden schon von dem Pionier Fewer ab 1862 allerlei Tiergestalten aus Beton gegossen. Unter anderem wurden zwei große Löwen erschaffen, die noch heute im Garten von Bauer Dibbern in Münsterdorf stehen (siehe Bild).
Der Breitenburger Schifffahrtskanal
Nach Gründung der ersten Zementfabrik durch Edward Fewer 1862, entwickelte sich die Zementindustrie im Raum Lägerdorf/Itzehoe zusehends. Bereits 1863 gründete Gustav-Ludwig Alsen sein Unternehmen in Itzehoe. 1876 wurde die Zementfabrik von Thiele & Gripp in Lägerdorf gegründet. Der Transport von fertigem Zement und von heranzuschaffender Kohle und Ton gestaltete sich für Lägerdorf jedoch schwierig und konnte nur über Land auf ungebahnten Wegen mit Pferd und Wagen vorgenommen werden.
Der Bau des Kanals begann 1872, im Juli 1878 war der komplette Kanal befahrbar. Der sechs Kilometer lange Kanal verbindet Lägerdorf mit der Stör. Er beginnt bei der Münsterdorfer Stör-Schleuse und endet bei der Breitenburger-Portland-Cement-Fabrik.
Die Baukosten des Kanals betrugen 200.000 Mark, die gänzlich von der Familie zu Rantzau getragen wurden. Um 1908 benutzten etwa 3.000 Schiffe jährlich den Kanal. Die ersten hier verkehrenden Schiffe waren aus Holz gebaut und hatten eine Tragfähigkeit von etwa 25 Tonnen. Um 1890 waren es meistens Segler mit 50 Tonnen Tragfähigkeit, von 1900 an sah man die ersten Schuten und Ewer, die etwa 80 Tonnen trugen. Nach Lägerdorf transportierte man Kohle, Ton, Gips, Holz und Baustoffe. Von Lägerdorf abtransportiert wurde Zement in Holzfässern, Zement in Jutesäcken (später in Papiersäcken), Baukalk, Düngekalk und Kreide.
Im Kanal wurden die Schiffe zunächst durch Menschen-, später durch Pferdekraft getreidelt. Auf geraden Strecken konnte unter günstigen Umständen auch gesegelt werden. Von 1927 an gab es die ersten Motorschiffe. Nach dem letzten Erweiterungsbau der Schleuse und des Kanals wurde er für Schiffe bis zu 180 Tonnen freigegeben. So konnten auf dem sechs Kilometer langen Kanal im Jahre 1966 125.463 Tonnen Zement und 74.807 Tonnen Material befördert werden.
Der Transport per LKW und per Bahn nahm immer mehr zu. Nachdem zuletzt nur noch Öltanker den Kanal befuhren, wurde die Kanalschifffahrt 1974 eingestellt. Das Schleusenbecken wurde an den Münsterdorfer Yachtclub vermietet. Es gehörte nach wie vor der Familie zu Rantzau. 2010 gab sie die Schleuse jedoch in die Hände des Deich- und Sielverbandes. Das Schleusentor im Deich der Stör war marode und daher wurde der Abriss der historischen Schleusentoranlage beschlossen. Ein neues Siel sollte nun eingebaut werden. Die entsprechenden Betonarbeiten sind weit fortgeschritten. So ist wieder ein Stück Historie aus dem Kreis Steinburg verschwunden.
Die Werksfeuerwehren
Mit dem Bau der Alsen´schen Fabrikanlagen in Lägerdorf (ab 1879) stellte sich die Frage des Brandschutzes. Eine Freiwillige Feuerwehr gab es zu der Zeit in Lägerdorf noch nicht. Die Alsen´sche Werksfeuerwehr Lägerdorf wurde Mitte 1886 gegründet.
1890 hatte die Wehr bereits eine Stärke von 68 Mann (siehe Foto). Die Freiwillige Feuerwehr wurde erst am 20. Juni 1889, nach einem Erlass der Preußischen Regierung vom April 1889, gegründet. Es gab dann ab 1889 zwei Wehren in Lägerdorf.
Die Werksfeuerwehr hat bis etwa 1930 bestanden. 1929 wurden von Alsen in Lägerdorf alle Schachtöfen stillgelegt. Der Ringofen war bereits 1923 durch Brandstiftung zerstört worden.
Nach 1929 wurden nur noch Kreideprodukte in einer Kreidemühle auf dem Ringofengelände hergestellt. Das war eine verhältnismäßig kleine Anlage, für die keine Werksfeuerwehr mehr aufrechterhalten werden konnte. Über eine Werksfeuerwehr der Breitenburger Portland Cement Fabrik wird in den geschichtlichen Überlieferungen nicht berichtet. Bei einem Großbrand in der Fabrik, Anfang der 1890er Jahre, wird nur vom Einsatz der Freiwilligen Feuerwehr Lägerdorf berichtet. Der Zeitzeuge Rudolf Lux, 88 Jahre alt, nahm 1948 bei der Breitenburger seine Arbeit auf und stellt die Sache etwas anders dar: Die Breitenburger hatte nach seiner Aussage zu der Zeit eine rund zehn Mann starke Löschtruppe, die mit einer Motor-Tragkraftspritze ausgerüstet war. Sie wurde nicht Werksfeuerwehr genannt und hatte auch keine Feuerwehr-Dienstkleidung oder Uniform. Einsätze wurden in normaler Arbeitskleidung ausgeführt.
Rudolf Lux wechselte 1952 mit weiteren Kollegen in die Freiwillige Feuerwehr Lägerdorf. Daraufhin wurde die Löschtruppe aufgelöst. Nach dem Muster der Lägerdorfer Werksfeuerwehr wurde Ende 1886 auch bei der Alsen Portland Cement Fabrik in Itzehoe eine Werksfeuerwehr gegründet. Diese soll 1889 eine Stärke von 30 Mann gehabt haben. Später kamen mehr Kameraden dazu und auch hier wurde eine Feuerwehrkapelle gegründet. Die Wehr hat noch bis kurz vor dem Zusammenschluss von Alsen und Breitenburg, bis 1970, bestanden.
Entwicklung der Infrastruktur im Raum Lägerdorf
Straßen und Wege
Zur Zeit der Pioniere Fewer und Alsen gab es kaum befestigte Ortsverbindungsstraßen. Nur die Hauptstraße von Itzehoe nach Hamburg war schon gepflastert. Die Verbindungswege von Lägerdorf nach Itzehoe oder von Lägerdorf zur Breitenburger Fähre waren nur unbefestigte Feld- oder Waldwege. Auch innerorts gab es nur mit Schotter und Lehmkies befestigte Straßen. Das machte besonders Otto Friedrich Alsen zu schaffen, der die Kreide mit Pferdefuhrwerken von Lägerdorf nach Itzehoe fahren musste. Das war sehr mühsam und bei schlechtem Wetter oft gar nicht möglich.
Für die anderen Lägerdorfer Unternehmen gestaltete sich der Abtransport von Zement und die Anlieferung von Kohle und Holz ebenfalls sehr schwierig und konnte nur über Land auf den unbefestigten Wegen mit Pferd und Wagen vorgenommen werden – entweder nach Itzehoe zur Eisenbahn oder zur Breitenburger Fähre. Dort wurde auf Segelschiffe umgeladen, die den Zement direkt nach Hamburg brachten und Kohle als Rückfracht luden. Damit die Straße nicht zu stark ausgefahren wurde, legte man Spursteine, die täglich versetzt wurden.
Im Jahr 1875 wurde schließlich die Straße nach Lägerdorf ausgebaut.
Die Eisenbahn
Gustav Ludwig Alsen wählte den Standort Itzehoe aus verkehrstechnischen Gründen. Bis Itzehoe fuhren damals schon die Züge der „Holsteinischen Eisenbahn“ von Altona. Direkt neben dem Werksgelände befand sich der erste Itzehoer Bahnhof. Die Bahnstrecke endete hier. Sämtliche Anlieferungen zum Alsenwerk wurden mit der Bahn vorgenommen. Von Itzehoe wurde Zement in Holzfässern à 180 Kilogramm für den Bestimmungsort Hamburg und Kreide für das Werk Uetersen versandt.
1868 ließ Otto Friedrich Alsen die Schmalspur-Pferdeeisenbahn von Itzehoe über Münsterdorf nach Lägerdorf bauen, da zu diesem Zeitpunkt ein Ausbau der Straße nach Lägerdorf noch immer auf sich warten ließ. Zunächst waren vier Pferdegespanne eingesetzt, die am Tag 20 Tonnen Kreide befördern konnten.
1877 stellte man auf Dampflokomotiven um und konnte die zu transportierende Kreidemenge erheblich steigern. Ende der 1950er Jahre wurde wiederum auf Diesellokomotiven umgestellt, die rund 4.000 Tonnen am Tag nach Itzehoe transportierten. 1964 baute man eine Pipeline für Kreideschlamm und der Eisenbahnbetrieb wurde eingestellt. Damit war nach 96 Jahren das Ende der Kreidebahn gekommen.
Erst 1951 erhielt Lägerdorf nach Gründung der Bahnbetriebsgesellschaft einen Vollspur-Eisenbahnanschluss. Nun war auch die Breitenburger Portland-Cement-Fabrik an das Bahnnetz angeschlossen.
Der Wasserweg
Über die Stör war Itzehoe selbst für größere Frachtensegler erreichbar. Das war für Gustav Ludwig Alsen der zweite wichtige Grund sein Werk in Itzehoe anzulegen. Damals wie heute war der Transport von Gütern auf dem Wasserweg der rentabelste. Die Kleinschifffahrt auf der Elbe und an der Küste wurde von selbstständigen Schiffern mit sogenannten Ewern, die 30 bis 50 Tonnen transportieren konnten, vorgenommen. Diese fuhren bald auch im Auftrag für Alsen. 1868 gründete Alsen dann eine eigene Reederei, um Zement nach Skandinavien und Holz von dort nach Itzehoe zu transportieren. Diese fing klein an, entwickelte sich aber zu beachtlicher Größe und existierte über 100 Jahre. Schon bald gehörte eine ganze Flotte von Ewern, Frachtenseglern, Schleppzügen mit Schleppern und Schuten zur Alsen Reederei. Große Mengen von Zement wurden nach Hamburg und Kohle von dort als Rückfracht verschifft.
Außerdem wurde Kreide zum Werk Uetersen auf dem Wasserweg transportiert. Lägerdorf wurde 1878 über den Breitenburger Schifffahrtskanal an die Stör und die Elbe angebunden.