Renaturierung von Abbaugebieten MINERALISCHER rOHSTOFFE

Zur Herstellung von Baustoffen wie Zement oder Beton werden natürliche mineralische Rohstoffe benötigt. Der Abbau ist dabei immer mit temporären Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden. Deshalb werden die betroffenen Gebiete schon während und nach dem Abbau aufwendig renaturiert oder rekultiviert.

Maik Hamann, Thilo Orgis und Namican Tüleyli sind bei Holcim die Experten, wenn es um die Renaturierung von Abbaugebieten geht. Im Interview erklären sie, warum der Abbau von mineralischen Rohstoffen alternativlos ist, welche Auflagen es zu beachten gilt und warum ein offenes Ohr für die Nachbar:innen ein wichtiger Aspekt ist.

"Die meisten Menschen sind überrascht, wenn wir berichten, worin Kies, Sand und Co. überall enthalten sind: Asphalt, Glas und sogar Zahnpasta."

Maik Hamann

Warum is der Abbau mineralischer Rohstoffe so wichtig?

Maik Hamann: Ganz grob gesagt sind mineralische Rohstoffe die Basis für die gesamte Bauwirtschaft und viele Produkte weiterer Branchen. Die meisten Menschen sind überrascht, wenn wir berichten, worin Kies, Sand und Co. überall enthalten sind: Asphalt, Glas und sogar Zahnpasta. Für uns macht es das teilweise schwieriger, da die Bedeutung des Abbaus nicht so sichtbar ist.

Namican Tüleyli: Besonders wichtig ist der regionale Aspekt. In Deutschland haben wir höchste Anforderungen an Ökologie und Nachhaltigkeit zu erfüllen und die schweren Materialien müssen nicht über weite Strecken transportiert werden. Sie werden in den meisten Fällen in der Nähe ihres Abbaugebietes genutzt.

Gibt es Alternativen zu Sand- oder Kiesgruben?

Namican Tüleyli: Da sind wir beim Thema Recycling und Kreislaufwirtschaft. Diese Alternative gibt es und das Thema wird unter der Überschrift „Urban Mining“ auch immer wichtiger und das gleichwertige Recycling bereits genutzter Baustoffe immer professioneller. Allerdings ist der Bedarf an Rohstoffen so hoch, dass er sich allein durch Recycling nicht decken lässt. Es läuft aktuell auf ein hybrides Zusammenspiel hinaus.

Maik Hamann: Außerdem ist beim Thema Kreislaufwirtschaft und Recycling die Gesetzeslage sehr schwierig. Der Weg, recycelten Beton verwenden zu können, muss dringend vereinfacht werden. Da fehlt es in Deutschland an zeitgemäßen Regeln und Normen.

"Der Bedarf an Rohstoffen ist so hoch, dass er sich allein durch Recycling nicht decken lässt. Es läuft aktuell auf ein hybrides Zusammenspiel hinaus."

Namican Tüleyli

Auf welchen Flächen können Rohstoffe abgebaut werden?

Thilo Orgis: Die Flächen sind in der Landes- und Regionalplanung ausgewiesen und als Vorrangflächen für den Rohstoffabbau gekennzeichnet.

Maik Hamann: Wir können nur da abbauen, wo es erlaubt ist. Diese Flächen müssen regional möglichst nah am Einsatzort des abgebauten Materials liegen – aus Kosten- und Klimaschutz-Gründen. Lange Transportwege sind für beide Aspekte schädlich.

Namican Tüleyli: Deutschland ist ein Land mit vergleichsweise wenig Fläche und tatsächlich wird pro Jahr für den Abbau der Rohstoffe nur eine Fläche von 0,004 Prozent verwendet. Um die Dimension einmal anschaulich zu machen: Zur Erreichung der EEG-Ausbauziele müssen allein zwei Prozent der Bundesfläche für die Windenergie an Land ausgewiesen werden.

0,004 %

der Fläche in Deutschland wird pro Jahr für den Abbau von Rohstoffen verwendet.

Wie umfangreich sind die Vorbereitungen für den Bau eines Kieswerks?

Maik Hamann: Grob kann man mit fünf bis sieben Jahren planen, aber das ist von Region zu Region unterschiedlich. Zunächst braucht es eine Potenzialstudie, um zu sehen, ob das Gebiet sich eignet. Dabei wird nach der entsprechenden Ausweisung der Flächen in den Regionalplänen geschaut und auch weitere Faktoren wie mögliche Schutzgebiete und infrastrukturelle Anbindung werden geprüft. Anschließend folgen weiterführende geologische Erkundungen wie Bohrungen oder Geophysik. Am Ende sind viele kleine Schritte zu gehen, bevor man sich für ein zukünftiges Abbaugebiet entscheidet.

Thilo Orgis: Und dann kommt noch der Scoping-Termin. Da geben die Fachbehörden vor, welche Unterlagen einzureichen sind. Die Planung der Renaturierung ist nur ein kleiner Teil davon und allein daran arbeiten die Planer und Ingenieure schon bis zu drei Jahre. Am Ende des Verfahrens steht die Öffentlichkeitsbeteiligung, nach der die eingehenden Stellungnahmen bearbeitet werden müssen.

Maik Hamann: Danach beginnt der eigentliche Teil der Arbeit: die Erstellung der Antragsunterlagen. Neben vielen verschiedenen Gutachten ist die Flora-Fauna-Kartierung der geplanten Fläche sowie des Umfeldes ein zentraler Aspekt. Diese dient der Bestimmung der Arten, die durch unseren Eingriff gegebenenfalls beeinflusst werden. Damit ist die Kartierung die Grundlage für die Eingriffs-Ausgleichs-Bilanzierung und somit auch Basis für das kommende Renaturierungskonzept.
 

Wie definiert sich eine Renaturierung?

Maik Hamann: Das Ziel lautet, die Flächen nach dem temporären Eingriff in einem mindestens ebenso hochwertigen Zustand für die Tier- und Pflanzenwelt zu hinterlassen, wie wir es vorgefunden haben. Da wir oft Agrarflächen nutzen, passiert es dann schon automatisch, dass wir überkompensieren und am Ende eine im Vergleich zu vorher wertvollere Fläche haben.

Wie unterschiedlich sind Renaturierungsprojekte?

Namican Tüleyli: Eine Renaturierung ist sehr individuell und es gibt immer neue Herausforderungen. Somit gibt es auch kein Standardprogramm, das jedes Mal gleich ist.

Thilo Orgis: Man macht natürlich seine Erfahrungen und kann diese gegebenenfalls auf neue Projekte übertragen, aber jeder Standort ist unterschiedlich und hat seine Besonderheiten. Wichtig ist für uns, dass wir die Flächen in einem hochwertigen und allgemein von allen Seiten positiv beurteilten Zustand zurückgeben – denn wir sind irgendwann weg, aber die Anwohner sind noch da.

Apropos: Zu den Kritikpunkten am Abbau gehört die Lärmbelästigung der Anwohner 

Maik Hamann: Klar ist natürlich, dass wir alle rechtlichen Vorgaben einhalten. Alle Parameter werden exakt berechnet und betrachtet: Lärm, Staub oder Erschütterungen. Aber es gibt darüber hinausgehend auch den sozialen Aspekt. Wenn jemand sich gestört fühlt, suchen wir das Gespräch und gehen infolgedessen oft über das rechtlich Notwendige hinaus. Letztlich ist es von größter Wichtigkeit, dass unsere Nachbar:innen und wir zufrieden sind und die Grundlage dafür sind offene Türen.

Ein zweiter Kritikpunkt ist, dass Tiere vertrieben oder gefährdet werden

Maik Hamann: Deswegen gibt es ja die umfangreiche Kartierung im Vorfeld, die als Basis für die Genehmigung erforderlich ist. Danach wissen wir, was an dem Standort passiert und so bauen wir den Plan für die Rekultivierung auf: um Lebensräume zu schaffen, wiederherzustellen und zu verbessern.

Namican Tüleyli: Wir schaffen auch Lebensräume für Tierarten, die bisher dort gar nicht gelebt haben. Die Flächen sind nach der Renaturierung oft artenreicher als vorher. Und für alle Tierarten ergreifen wir im Vorfeld geeignete Maßnahmen und starten nicht einfach den Bagger.

Thilo Orgis: In aktiven Tagebauen siedeln sich seltene Tierarten wie die Uferschwalbe an, für die es in der heutigen Kulturlandschaft mit begradigten Flüssen und verbauten Gewässerufern nur noch sehr wenige geeignete Lebensräume gibt. Frische Uferabbrüche sind für diese Schwalbenart allerdings wichtig, um dort ihre Brutröhren zu graben. Wir schaffen also Lebensräume und die Naturschützer bedauern es oft, wenn ein Werk geschlossen wird. Denn so verschwinden diese Lebensräume wieder.

"Mineralische Rohstoffe stecken in Asphalt, Glas oder auch Handys. Für uns ist das ein Problem, da die Wichtigkeit des Abbaus nicht direkt sichtbar ist."

Maik Hamann

Wie laufen Renaturierungsmaßnahmen ab?

Thilo Orgis: Der Plan wird Schritt für Schritt umgesetzt. Um möglichst effizient zu arbeiten, werden während der Abbauphase bereits geplante Maßnahmen wie eine Böschungsneigung umgesetzt. Es ergibt keinen Sinn, dann später erneut ranzugehen, wenn man es direkt erledigen kann. Das gilt auch für die Bepflanzung oder dann, wenn man ohnehin zu bewegendes Abraummaterial nutzen kann, um beispielsweise an anderer Stelle eine Flachwasserzone zu gestalten.

Namican Tüleyli: Grundsätzlich ist die Faustregel, keine Probleme für morgen zu schaffen, sondern sie wenn möglich direkt zu lösen. Dazu müssen wir auch für jeden Abschnitt Sicherheitsleistungen hinterlegen. Erst nach der Abnahme durch die Behörden werden sie wieder frei.
 

Kommt es hin und wieder zu spontanen Änderungen?

Thilo Orgis: Viele der heute umzusetzenden Rekultivierungspläne sind aus den 90er Jahren. Im Laufe der Zeit ändern sich die Ansprüche an die Umwelt und manchmal sind Maßnahmen von damals aus Gründen des Klimaschutzes nicht mehr sinnvoll. Dann werden natürlich Änderungen vorgenommen

Namican Tüleyli: Heute werden zum Beispiel keine Fichten mehr angepflanzt, auch wenn es damals so entschieden wurde. Aber auch Förster haben nicht immer direkt eine Lösung parat. Deswegen müssen wir oft auch Testballons entwickeln und schauen, welche Lösung optimal ist.

Wie lange dauern Renaturierungsmaßnahmen nach Beendigung des Abbaus?

Thilo Orgis: Es gibt tatsächlich Nachlaufzeiten von bis zu 20 Jahren. Das hat zum Beispiel mit der Rückverfüllung der Gebiete zu tun und es dauert, bis das umgesetzt ist.

Namican Tüleyli: In dem Plan ist grundsätzlich das Ziel-Jahr angegeben, allerdings klappt es nicht immer. Ein Beispiel: Bei einem Gebiet mit einem Flughafen in der Nähe sollte am Ende ein waldartiges Gebiet mit hoher Bepflanzung entstehen, um dem Vogelschlag vorzubeugen. Heute sagt dann aber ein Naturschutzverband, dass eine offene Landschaft für den Eisvogel sinnvoller ist. Wir müssen dann Zeit aufbringen, um zwischen X und Y zu vermitteln.

Wie viel Zeit wird für eine Renaturierung insgesamt geplant?

Thilo Orgis: Das sind oft mehrere Jahrzehnte.

Namican Tüleyli: Als Faustregel gilt, dass Gebiete mit Lockergestein eine Ausweisung für einen Abbau von etwa 25 Jahren und Gebiete mit Festgestein rund 35 Jahren erhalten.

„Jeder Standort ist individuell zu betrachten. Allerdings möchten wir als Unternehmen etwas Schönes zurücklassen.“

Thilo Orgis

Die Abnahme des Gebiets dauert oft länger, als die Phase der Rohstoffgewinnung. Woran liegt das?

Thilo Orgis: Das ist oft bei kleinen Gebieten so. Wir hatten beispielsweise eine Kiesgewinnungsfläche von acht Hektar, in dem fünf Jahre abgebaut wurde. Danach kam es im Zuge der Renaturierung zu einer Aufforstung und auch der Anpflanzung von Streuobstwiesen. Da auch verfüllt wurde, dauerte es bis zur Begrünung. Mit der Pflege und der endgültigen Abnahme kamen wir dann auf etwa zehn Jahre.

Was sind die größten Herausforderungen bei einem solch umfangreichen Projekt?

Maik Hamann: Die größte Herausforderung ist es, alle handelnden Parteien zufriedenzustellen. Man muss viele Punkte und Positionen berücksichtigen, um ans Ziel zu kommen.

Thilo Orgis: Wir begleiten eine Renaturierung über viele Jahre und man möchte irgendwann zu einem Ende kommen. Wenn sich dann die Vorgaben ändern oder eine Interessengruppe in fortgeschrittenem Stadium neue Ideen und Wünsche einbringt, ist es zugegebenermaßen schon auch anstrengend.

Gibt es Projekte, die in Erinnerung bleiben?

Maik Hamann: Für mich ist es das Edelkrebs-Projekt in Schleswig-Holstein. Die Population ist durch eingeschleppte amerikanische Flusskrebse und deren Krankheiten nahezu vollständig verschwunden. Durch den Kiesabbau konnten wir einen idealen Standort für die regionalen Edelkrebse schaffen und dazu beitragen, eine seltene Tierart vor dem Aussterben bewahren.

Thilo Orgis: In meinem Zuständigkeitsbereich ist es die großflächige Herstellung und Gestaltung einer neuen Flussauenlandschaft. Diese wurde im Rahmen der erforderlichen Verlegung des Flüsschens Allna im Abbaugebiet des Kieswerkes Niederweimar bei Marburg durchgeführt. Hier wird auf etwa 15 Hektar im Bereich bereits abgebauter und wieder rückverfüllter Flächen eine strukturreiche Landschaft geschaffen, in der sich das verlegte Gewässer künftig frei entwickeln kann.

Namican Tüleyli: Nach Planfeststellung und dem dazugehörigen Wiedernutzbarmachungsplan soll ein Förderbandtunnel von rund 30 Metern Länge zurück gebaut und die Fläche bepflanzt werden. In Zusammenarbeit mit dem Nabu und der unteren Naturschutzbehörde wird dieser Tunnel aber derzeit in einen Fledermaustunnel umgebaut. Durch ausreichendes Dämmmaterial über dem Tunnel oder der offenen Anflugfläche am Wasser besteht hier ein hohes Potential, dass die Fledermäuse diesen Tunnel annehmen.

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